Die Gitarre habe ich immer geliebt. Ohne
Gitarre läßt sich auch jene Welt des Autorenliedes nicht denken, in der ich lebe.
Außerdem gibt es in unserer Familie eine Art
geheimes Motiv, das mit der Gitarre in Verbindung steht. So heiratete mein Großvater meine
Großmutter, eben weil sie Gitarre spielte und
sang. Auch mein Vater spielte Gitarre… Keinen
von beiden konnte ich jemals spielen hören,
doch eines Tages bekam ich eine Gitarre von
meiner Mutter zum Geburtstag. Und die Gitarre wurde mein Leben.
Und dann also die Gusli… Zunächst war das
wohl so etwas wie die Märchen, die ich in der
Kindheit gelesen hattte: mit fliegenden Teppichen, aber auch mit Guslis, die ganz von allein
spielen konnten. Später hörte ich Guslis in
einem Orchester russischer Volksinstrumente. Diese Guslis hatte man nach wissenschaftlichen Kriterien modernisiert, es waren
Instrumente, auf denen sich ohne weiteres sowohl
einfache russische Volksweisen, als auch
schwierigste Vivaldi-Konzerte spielen ließen.
Und dennoch wußte ich, daß dies nicht jene
Guslis aus den Märchen sein konnten. Ich
wußte auch, daß jetzt eine Zeit für andere
Töne und Lieder war. Meine Seele wartete
also weiter auf die Begegnung mit jener Musik, jenen Liedern, die einst unsere Urgroßmütter und Urgroßväter gesungen hatten.
Irgendwann aber kam der Tag, an dem ich genau diese Guslis zum ersten Mal zu hören bekam. Das war in der märchenhaftesten Stadt
Rußlands, in Susdal, wo ich zu jener Zeit lebte
und arbeitete. Wir hatten Besuch von zwei
Gusli-Spielern, die auf Instrumenten spielten,
die sie sich selbst gebaut hatten. Wie sie uns
nachher erklärten, fertigte sich früher, noch in
der alten Rus, jeder Gusljar sein Instrument
selbst -abgestimmt auf die eigene Hand, die
eigene Stimme.
Die Guslis und auch die Lieder, die die beiden
Männer sangen, erschütterten mich zutiefst,
gleichzeitig machten sie mich glücklich. Endlich sollte ich also das hören können, wonach
ich so lange gesucht hatte. Selbst konnte ich mir
keine Gusli bauen. Mein Verlangen sie zu spielen, bewog jedoch meine Freunde dazu, ein
solches Instrument für mich zu “erschaffen ”-
ein besseres Wort gibt es an dieser Stelle für
mich nicht. Und nun spiele ich die Guslis, die
meine Susdaler Freunde Tatjana Kuprejanowa
und Dmitri Belolipetzki gebaut haben. Dabei
hatten sie früher nie damit zu tun: Tatjana beispielsweise ist Regisseurin an einem Theater.
Und so begann meine Gusli-Geschichte…
Die Gusli ist eines der ältesten Musikinstrumente, die man in der Rus kannte. Woher sie
in unser Land kam -ob aus dem Westen oder
Osten -, ist schwer zu sagen. Wir wissen jedoch, daß die verschiedenen Arten dieses Instruments auf gemeinsame Urahnen zurückgehen: die Harfe, die Lyra.
Im Nowgoroder Land fanden Archäologen in
Schichten, die noch aus dem 10. Jahrhundert
stammen, Teile von Musikinstrumenten, die
sich dort erhalten hatten, darunter auch Guslis.
Diese uralten Funde wurden von Wladimir
Powetkin, einem begabten Restaurator aus
Nowgorod, wiederhergestellt. So nahm mit
jenen wiedererschaffenen Instrumenten das
Zentrum für Musikalische Altertümer seinen
Anfang, in dem man sie heute nicht nur sehen,
sondern auch hören kann.
Wenn ich mit der Hand über die Saiten der
Gusli streiche, scheint mir, als hörte ich ferne
Glocken läuten und alte Worte leise klingen,
Worte, deren Geheimnis mich bewegt wie das
Meer. Vielleicht, weil ich am Meer aufgewachsen bin, vielleicht aber auch, weil das Meer und
die Zeit eins sind für mich.
Jelena Frolowa
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