Beoton wo 1202  

Jelena Frolowa
Geistliche Gesänge

Jelena Frolowa, Vocal, Gusli

(DDD, 48`25")



Die Gitarre habe ich immer geliebt. Ohne Gitarre läßt sich auch jene Welt des Autorenliedes nicht denken, in der ich lebe. Außerdem gibt es in unserer Familie eine Art geheimes Motiv, das mit der Gitarre in Verbindung steht. So heiratete mein Großvater meine Großmutter, eben weil sie Gitarre spielte und sang. Auch mein Vater spielte Gitarre… Keinen von beiden konnte ich jemals spielen hören, doch eines Tages bekam ich eine Gitarre von meiner Mutter zum Geburtstag. Und die Gitarre wurde mein Leben. Und dann also die Gusli… Zunächst war das wohl so etwas wie die Märchen, die ich in der Kindheit gelesen hattte: mit fliegenden Teppichen, aber auch mit Guslis, die ganz von allein spielen konnten. Später hörte ich Guslis in einem Orchester russischer Volksinstrumente. Diese Guslis hatte man nach wissenschaftlichen Kriterien modernisiert, es waren Instrumente, auf denen sich ohne weiteres sowohl einfache russische Volksweisen, als auch schwierigste Vivaldi-Konzerte spielen ließen. Und dennoch wußte ich, daß dies nicht jene Guslis aus den Märchen sein konnten. Ich wußte auch, daß jetzt eine Zeit für andere Töne und Lieder war. Meine Seele wartete also weiter auf die Begegnung mit jener Musik, jenen Liedern, die einst unsere Urgroßmütter und Urgroßväter gesungen hatten. Irgendwann aber kam der Tag, an dem ich genau diese Guslis zum ersten Mal zu hören bekam. Das war in der märchenhaftesten Stadt Rußlands, in Susdal, wo ich zu jener Zeit lebte und arbeitete. Wir hatten Besuch von zwei Gusli-Spielern, die auf Instrumenten spielten, die sie sich selbst gebaut hatten. Wie sie uns nachher erklärten, fertigte sich früher, noch in der alten Rus, jeder Gusljar sein Instrument selbst -abgestimmt auf die eigene Hand, die eigene Stimme. Die Guslis und auch die Lieder, die die beiden Männer sangen, erschütterten mich zutiefst, gleichzeitig machten sie mich glücklich. Endlich sollte ich also das hören können, wonach ich so lange gesucht hatte. Selbst konnte ich mir keine Gusli bauen. Mein Verlangen sie zu spielen, bewog jedoch meine Freunde dazu, ein solches Instrument für mich zu “erschaffen ”- ein besseres Wort gibt es an dieser Stelle für mich nicht. Und nun spiele ich die Guslis, die meine Susdaler Freunde Tatjana Kuprejanowa und Dmitri Belolipetzki gebaut haben. Dabei hatten sie früher nie damit zu tun: Tatjana beispielsweise ist Regisseurin an einem Theater. Und so begann meine Gusli-Geschichte…
Die Gusli ist eines der ältesten Musikinstrumente, die man in der Rus kannte. Woher sie in unser Land kam -ob aus dem Westen oder Osten -,
ist schwer zu sagen. Wir wissen jedoch, daß die verschiedenen Arten dieses Instruments auf gemeinsame Urahnen zurückgehen: die Harfe, die Lyra. Im Nowgoroder Land fanden Archäologen in Schichten, die noch aus dem 10. Jahrhundert stammen, Teile von Musikinstrumenten, die sich dort erhalten hatten, darunter auch Guslis. Diese uralten Funde wurden von Wladimir Powetkin, einem begabten Restaurator aus Nowgorod, wiederhergestellt. So nahm mit jenen wiedererschaffenen Instrumenten das Zentrum für Musikalische Altertümer seinen Anfang, in dem man sie heute nicht nur sehen, sondern auch hören kann. Wenn ich mit der Hand über die Saiten der Gusli streiche, scheint mir, als hörte ich ferne Glocken läuten und alte Worte leise klingen, Worte, deren Geheimnis mich bewegt wie das Meer. Vielleicht, weil ich am Meer aufgewachsen bin, vielleicht aber auch, weil das Meer und die Zeit eins sind für mich.

Jelena Frolowa